Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Technische Reduktion der Sonneneinstrahlung und die Ziele für nachhaltige Entwicklung

22.06.2021

Wäre der Menschheit geholfen, wenn sie die Sonneneinstrahlung technisch so verändern würde, dass die Erderwärmung gebremst wird, damit aber neue komplexe Probleme und Partikelverschmutzung entstünden? Ein Team unter Beteiligung von Matthias Honegger vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) hat den aktuellen Wissensstand zur Modifikation der Sonneneinstrahlung mit einem internationalen Expertenteam zusammengetragen. Es entstand ein Überblick darüber, wie sich solche Eingriffe in die Atmosphäre auf das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele auswirken könnten.

Sonnenstrahlung
Um die globale Erwärmung auf weit unter zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten, wird auch das Beeinflussen der Sonnenstrahlung durch technische Mittel diskutiert.

Das Ziel des Pariser Abkommens, die globale Erwärmung auf 1,5 oder weit unter zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, ist entscheidend für die Verfolgung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung – der Sustainable Development Goals (SDGs). Um jedoch das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wäre eine sofortige Verfünffachung der aktuellen nationalen Minderungszusagen erforderlich; für zwei Grad wäre eine Verdreifachung notwendig. Da eine solche Steigerung zumindest fraglich erscheint, wird neben der Emissionsminderung und CO2-Entfernung auch die Modifikation der Sonneneinstrahlung (Solar Radiation Modification, SRM) diskutiert – als zumindest theoretisch mögliche Maßnahme.

In den Fokus gerückt ist insbesondere die stratosphärische Aerosolinjektion (Stratospheric Aerosol Injection, SAI), weil diese Technik die Chance bieten könnte, die Auswirkungen des Klimawandels zu mildern, selbst wenn die weltweiten Emissionen nicht vor 2050 (Netto-)Null erreichen. Bei der stratosphärischen Aerosolinjektion würde Folgendes passieren: Bestimmte Aerosole würden gezielt in der Stratosphäre versprüht, beispielsweise auf Schwefel oder Kalkbasis, um einen kleinen Prozentanteil des einfallenden Sonnenlichtes zu streuen und etwas Wärmeenergie von der Erde fernzuhalten.  

SRM im Allgemeinen unterscheidet sich von der Treibhausgasminderung: Die Einsatzkosten scheinen im Verhältnis gering und die Effekte treten schnell ein. Insofern könnte SRM das Erreichen der UNO Nachhaltigkeitsziele und deren langfristige Fortsetzung unterstützen – diese sind durch den Klimawandel nämlich in großer Gefahr.

SRM behandelt jedoch nicht die eigentliche Ursache des Klimawandels, also die steigende Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre aufgrund der menschlichen Emissionen. Der Einsatz von SRM würde eigene, teilweise sehr deutliche, Risiken mit sich bringen, welche in einer ganzheitlichen Abwägung mit der eigentlichen Gefährdung durch den Klimawandel und dessen möglicher Minderung durch SRM berücksichtigt werden müssten.

Transdisziplinärer Ansatz liefert neben Überblick weitere Entscheidungskriterien

Angeregt und unterstützt durch die Carnegie Climate Governance Initiative leistet die vorliegende Studie einen weiteren Beitrag zu einer solchen breit abgestützten Abwägung. Mit dem Ziel, das gegenwärtige Verständnis von SRM ganzheitlich zu erfassen, wurde eine Gruppe von Personen eingeladen, die auf der Forschungsliteratur basierte Übersichtsarbeit kritisch auf Lücken zu prüfen und zu ergänzen. Diese Expertenbefragung umfasste rund 30 Personen aus 20 Ländern mit Fachwissen und Praxiserfahrungen aus relevanten politischen Institutionen zu allen 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs). Dabei wurde insbesondere Wert daraufgelegt, bio-physikalische, ökologische, soziale, wirtschaftliche, politische und institutionelle Blickwinkel in der Analyse zusammenzuführen.

Für diese transdisziplinäre Vorgehensweise spricht aus Sicht der Autoren, dass ein Verständnis des Klimawandels in der Regel über Modelle gewonnen werde anhand physikalischer Parameter. Des Weiteren würden Auswirkungen zweiter Ordnung von Klimazuständen häufig in Klimafolgenmodellen übersetzt, wobei physikalische Variablen in wirtschaftliche Kosten und Nutzen übertragen werden. Eine solche Vereinfachung übersehe jedoch, wie physikalische und nicht-physikalische Wirkungspfade zusammenhingen. Auch regionales Wissen würde oft nicht genügend einbezogen. Deshalb wurden für die vorliegende Studie auf die geografische Diversität der Beitragenden geachtet, um die möglichen Implikationen von SRM mit globaler Relevanz zu identifizieren.
 

Fazit: Politikabhängige Auswirkungen auf SDGs

Die Analyse von aktuellen Modellierungsstudien deute übereinstimmend darauf hin, dass eine teilweise Begrenzung der globalen Erwärmung auf beispielsweise 1,5 Grad statt drei Grad Celsius durch einen global nahezu einheitlichen Einsatz von SRM einen Beitrag zur Erreichbarkeit der SDGs leisten könnte. Demgegenüber wäre bei einer Erwärmung von drei Grad Celsius ohne SRM die Erreichbarkeit der SDGs massiv gefährdet.  

Das Autorenteam sieht daher die Möglichkeit, dass ein breit getragener, erfolgreicher Einsatz von SRM die Auswirkungen des Klimawandels auf das Erreichen der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele deutlich mindern könnte. Gleichzeitig könnten sich jedoch auch negative Auswirkungen aufgrund verschiedenster physikalischer, sozioökonomischer, politischer und kultureller Wirkungsweisen ergeben, so die Autoren. Der Einsatz von SRM könnte sich demnach auf mindestens neun der 17 SDGs auch negativ auswirken: Dazu zählten beispielsweise Ziel 6 „Sauberes Wasser und Sanitärversorgung“, Ziel 3 „Gute Gesundheit und Wohlbefinden“ oder Ziel 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“. Gerade letzteres zeigt die Notwendigkeit von robusten internationalen Entscheidungsfindungs- und Implementierungs-Prozessen und Institutionen auf. Weitere Risiken werden vom Autorenteam für die Umsetzung vom nachhaltigen Entwicklungsziel 2 „Kein Hunger“ oder Ziel 7 „Erschwingliche und saubere Energie“ gesehen und in der Verschmutzung der Luft durch die eingebrachten Partikel. All diesem steht aber auch eine mögliche Verbesserung durch SRM gegenüber.

Absolut zentral ist es laut der Studie, dass die aktuelle Wissensgrundlage es nicht erlaube, eine Gewichtung der möglichen positiven und negativen Wirkungen vorzunehmen. Die Autoren empfehlen in ihrem Fazit breit abgestützte Bewertungsmetriken zu entwickeln, die die SDG-Dimensionen abdecken, damit die Zusammenhänge besser erforscht und diskutiert werden können. Dazu zählten sowohl qualitative wie auch quantitative Analysen potenzieller Risiken und Vorteile von SRM, um eine Unter- oder Überschätzung der Auswirkungen aufs Klima und die nachhaltige Entwicklung zu vermeiden.

Publikation:
Honegger, M. et al.: Potential implications of Solar Radiation Modification for achievement of the Sustainable Development Goals, Mitigation and Adaptation Strategies for Global Change. DOI:10.1111/reel.12401

Kontakt

Sabine Letz

Sabine Letz

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